Aleppo ist ein Wendepunkt
Ganz gleich, wie lange sich die nordsyrische Stadt Aleppo noch halten kann – für die Stadt selbst ist es zu spät. Das Ausmaß der Vernichtung der einstigen Millionenstadt ist heute kaum abschätzbar. Aleppo, vor dem Krieg industrielles und finanzielles Zentrum Syriens und eine der ältesten, durchgehend bewohnten Städte der Welt, ist fast vollständig vernichtet, ihr kulturelles Erbe steht vor der Vernichtung. Lag die Bevölkerungszahl vor dem Krieg bei über zwei Millionen, leben heute gerade einmal 300.000 Menschen in Aleppo.
Bis Oktober 2015 hatten weder die Rebellen noch das Regime von Bashar al-Assad einen nennenswerten Vorteil. Seither erhält allerdings das Assad-Regime gewichtige Hilfe von seinem Verbündeten Russland. Dennoch kann nicht von einem einfachen Sieg für Assad gesprochen werden, wenngleich sich die tatkräftige Unterstützung Moskaus als unbezahlbar herausgestellt hat. Viele wichtige militärische Erfolge verdankt das Regime ausschließlich der Hilfe der Russischen Föderation, darunter auch der sich abzeichnende Erfolg in Aleppo.
Aleppo ist gewissermaßen der Anfang vom Ende des Aufstands gegen Assad. Die letzte größere Stadt, die noch nicht vom Regime zurückerobert wurde, von den kurdischen Gebieten im Norden abgesehen, ist Dara’a, jene Stadt, in welcher der Bürgerkrieg seinen Anfang nahm – und Aleppo selbst. Ein Sieg in Aleppo würde bedeuten, dass die Rebellen nur noch eine Handvoll Gebiete kontrollieren und nicht mehr in der Lage sind, größere Gebiete erobern oder bereits eroberte zu behalten. Kurzum: Aleppo ist ein entscheidender Wendepunkt.
Doch sollte Assad die Eroberung Aleppos dafür nutzen können, den Krieg gänzlich für sich zu entscheiden, so bleibt dieser Sieg dennoch unvollständig. Der jahrelange Bürgerkrieg, im Zuge dessen es zu verschiedensten Gräueltaten gekommen ist – besonders hervorzuheben sind der Einsatz von Fassbomben, das Abriegeln und Aushungern rebellischer Städte sowie der Einsatz von Chemiewaffen – hat Assad jegliche Legitimität, die er in Europa und in der Arabischen Welt vielleicht genossen haben mag, gekostet. Das Land liegt wirtschaftlich völlig darnieder und ist in derart viele, kleine Splittergruppen zerfallen, die teilweise gegen Assad, teilweise gegeneinander kämpfen. Assad mag sich darauf konzentrieren, den urbanen Teil Syriens zurückzuerobern oder zumindest das, was davon übrig ist. Syrien völlig kontrollieren wird er jedoch nicht mehr.
Bild: International Mine Action Center in Syria (Mil.ru), CC BY 4.0, keine Änderungen vorgenommen